Die in Berlin lebende Architektin leitet den Gestaltungsbeirat der IBA Hamburg für die Quartiere in Neugraben-Fischbek. Das Gremium entscheidet über Architekturentwürfe, um eine hohe gestalterische Qualität zu gewährleisten. Nach insgesamt 46 Sitzungen befasst sich der Gestaltungsbeirat mit den letzten Entwürfen – Zeit, Bilanz zu ziehen.
Wie kamen Sie zum Gestaltungsbeirat der IBA Hamburg?
IBA hat für mich eine Tradition. Mit dem damaligen Büro „Hinrich und Inken Baller“ haben wir in Kreuzberg an der Internationalen Bauausstellung 1984/87 mitgearbeitet und haben Uli Hellweg kennengelernt. Diese Zusammenarbeit blieb mit mir erhalten in seiner Zeit als Koordinator im Sanierungsgebiet Berlin-Moabit bei der Nachfolgegesellschaft S.T.E.R.N GmbH und als Geschäftsführer der Wasserstadt Berlin GmbH bis hin zur IBA Hamburg und zwar in unterschiedlichen Formaten und mit besonderem Fokus auf Bürgerbeteiligung und Mitgliedschaften in Jurys.
Was konnten Sie in den vergangenen 5 Jahren in Neugraben-Fischbek bewirken?
In Neugraben-Fischbek werden die Grundstücke für private Bauherren nach einem speziellen Verfahren vergeben: Die Interessenten können ein Haus aus dem Hauskatalog auswählen oder mit einem Architekten ihrer Wahl ein eigenes Haus einreichen. Erst nach Freigabe durch den Gestaltungsbeirat wird der Grundstückskauf getätigt. Haben in der ersten Zeit die Kataloghäuser deutlich überwogen hat sich das stark verändert. Die anfänglich gefürchtete Hürde Gestaltungsbeirat ist immer stärker von den Architekten und ihren Bauherren als eine beratende Instanz wahrgenommen worden, die für die Qualität des Quartiers einsteht und damit auch für seinen langfristigen Wert. Über den Zeitraum von fünf Jahren und inzwischen 46 Gestaltungsbeiratssitzungen sind Erfahrungen gesammelt worden, die zu einer immer deutlicheren Verbesserung der Gestaltungsqualität geführt haben. Diese fünf Jahre waren für alle Beteiligte ein Lernprozess, der für „Eingeweihte“ in beiden Quartieren auch ablesbar ist.
Wo müssen Sie als Beirat am meist drauf achten?
Der Qualitätsmaßstab darf nicht verloren gehen, die Messlatte sind die Häuser aus dem Katalog, der inzwischen zweimal überarbeitet wurde. Auch wenn manchmal eine gewisse Beratungsresistenz vorliegt, lohnt es sich weiter Überzeugungsarbeit zu leisten. Wir haben immer wieder festgestellt, dass letztlich alle Beteiligte mit dem erreichten Ergebnis zufriedener waren als mit dem ursprünglichen Entwurf. Eine wichtige Rolle spielte die Sensibilisierung für scheinbare Kleinigkeiten. Schlechte Details oder ein Klinker, der wie eine angeklebte Keramik wirkt können selbst einen gelungenen Entwurf maßgeblich beeinträchtigen.
Hat Gestaltung auch etwas mit Qualität und Nachhaltigkeit zu tun?
Gestaltung ist nicht nur eine „Geschmacksfrage“. Gestaltung im weitesten Sinne verändert unsere Umwelt und wirkt bewusst und unbewusst auf unsere Wahrnehmung und damit auf unser Befinden. Kriterien für eine gute Gestaltung kommen aus der Ästhetik, zum Beispiel Proportion, der Einsatz von Material und Farbe aber auch aus der Ökologie wie Altersfähigkeit, Materialeigenschaften. Bruno Taut, dem wir in Berlin bis heute geliebte Wohnquartiere zu verdanken hat einen scheinbar einfachen Leitsatz geprägt: Aufgabe der Architektur ist die Schaffung des schönen Gebrauchs.
Was wird künftig der wichtigste Aspekt bei der Gestaltung neuer Wohnquartiere sein?
Den einen wichtigsten Aspekt gibt es nicht. Eine Kurzformel könnte sein: das charakteristische, verdichtete, gemischte und grüne Wohnquartier. Charakteristisch meint, dass die Besonderheiten des Ortes und seiner Umgebung aufgenommen werden, dass dadurch das Wohnquartier etwas Unverwechselbares erhält. Verdichtet bedeutet eine flächensparende und damit auch ressourcenschonende Bebauung mit kurzen Wegen zur öffentlichen und gewerblichen Infrastruktur. Mit guter Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr kann das Auto dadurch an Relevanz verlieren. Gemischte Quartiere verfügen über ein Angebot von unterschiedlichen Wohn- und Eigentumsformen, die für viele soziale und Altersgruppen geeignet sind. Das Grün ist die Voraussetzung für die Dichte. Eine üppige Bepflanzung der Straßen, Gärten und der Häuser selbst sollten mitgeplant und gefördert werden. Und dann doch der wichtigste Aspekt: Ein Wohnquartier ist kein optimiertes System sondern der Raum für das Leben in seiner ganzen Vielfalt, auch für das Unerwartete.
Das klingt wie eine Utopie. Aber bei genauerem Hinsehen erfüllen die Wohnquartiere von Neugraben und Fischbek schon viele dieser Aspekte, sind also auf einem guten Weg.